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Pferd

„Über Wirkungen der Kunst”

von Thomas Roloff

Dieser kleine Aufsatz geht auf eine Ausstellung mit Werken von Thomas Jastram zurück, die im Jahr 2016 in Dresden gezeigt wurde. Ich hatte dazu einige Gedanken entwickelt, ohne mich als Kunstkenner zu bezeichnen. Öffentlich sollten sich Menschen nur zu Dingen äußern, die ihnen zumindest vertraut sind. Eine Weisheit die gegenwärtig, jedenfalls nach meinem Eindruck, nicht mehr überall die hinreichende Beobachtung erfährt.

Darum habe ich über die Stellung des Kunstwerks in unserer Welt nachgedacht und das aus einer vor allem theologischen Perspektive. Es ist hier also etwas nachzulesen, was im Zusammenhang mit der Betrachtung von Kunst inzwischen eher ungewöhnlich geworden ist. Wer bereits an dieser Stelle innerlich das Interesse verliert, dem will ich zum Trost versichern, das Lesen dauert höchstens eine Viertelstunde!

Caroline Schlegel schrieb 1801 an ihren Mann August Wilhelm:

„O mein Freund, wiederhole es Dir unaufhörlich, wie kurz das Leben ist, und das nichts so wahrhaftig existiert als ein Kunstwerk – Kritik geht unter, leibliche Geschlechter verlöschen, Systeme wechseln, aber wenn die Welt einmal aufbrennt wie ein Papierschnitzel, so werden die Kunstwerke die letzten lebendigen Funken seyn die in das Haus Gottes gehen – dann erst komt Finsterniß.“

Der GekreuzigteHier sind alle Stichworte genannt, an denen entlang ich über Kunst nachdenken will. Es ist auf die Kürze des Lebens verwiesen worden, es steht die Möglichkeit zu einer wahrhaftigen Existenz im Raum, und es wird das Haus Gottes ersehnt. In diesem Dreieck steht die Kunst.

Ursprünglich, das wird hier ganz klar, verlangte der Mensch nach Dauer.

Wenn er das Dauerhafte nicht selbst hervorzubringen vermochte, dann wollte er sich in allen Zeiten wenigstens dort anschließen, wo er größere Dauer vermutete, als er sie selbst in seinem bescheidenen Leben erwarten konnte. Die Monarchie, die Familie und die Religion gaben genau davon den zutreffenden Begriff. Die Monarchie für das staatliche und öffentliche Leben, die Familie für die private Existenz und die Religion für die verbindende Sinnstiftung unter beiden.

Merkwürdiger Weise ist genau das in den vergangenen einhundert Jahren fast vollständig anders geworden. Obgleich damit geradezu ungeheuerliche Zerstörungen verbunden waren, bilden sich Menschen ein oder lassen sich suggerieren, dass wir auf großartige Befreiungen zurückblicken.

Der Mensch der Gegenwart will nun einfach nur noch die Zeitspanne exzessiv auskosten, die ihm gegeben ist, und er bemerkt gar nicht mehr, dass gerade dieses mit Leben oder gar mit Dauer nichts zu tun hat. Es ist im Grunde eine Haltung der Resignation, die sich aber

als Erfüllung von Selbstverwirklichung und Freiheit gebärdet. Aber vielleicht gehört das gar nicht hierher, denn noch sind wir um Kunst versammelt, die nach wahrer Dauer sucht.

Ich will damit beginnen, daran zu erinnern, wie sehr jede menschliche Hervorbringung an die ursprüngliche Schöpfung anschließt.

Das Wesen des göttlichen Handelns liegt zunächst in der Erschaffung aller Dinge aus dem Nichts. „Gott ruft dem, was nicht ist, dass es sei“, so schreibt der Apostel Paulus. In unserem Zusammenhang ist aber die Stelle viel interessanter, an der uns erzählt wird, wie Gott dem aus Lehm geformten Menschen seinem Odem durch die Nase einbläst. In der Genesis heißt es wörtlich: „Aber ein Nebel ging auf von der Erde und feuchtete alles Land. Und Gott der HERR machte den Menschen aus einem Erdenkloß, und blies ihm ein den lebendigen Odem in seine Nase. Und also ward der Mensch eine lebendige Seele.“

Das wird oft als die Erweckung zum Leben missverstanden. Dies aber ist auszuschließen, weil im Zusammenhang mit der Erschaffung der Tiere hiervon nicht die Rede ist, und die Tiere leben schließlich auch. Gott haucht dem Menschen seinen Odem ein, er gibt von sich. Er lässt den Menschen Anteil nehmen an seinem inneren Wesen. Darin liegt die eigentliche Bedeutung der Gottesebenbildlichkeit, und darin unterscheidet sich der Mensch von allen anderen Kreaturen.

Der Künstler nun erschafft alle seine Werke aus diesem Geist, oder er bleibt bloßer Handwerker. Im Grunde ist Kunst so etwas wie eine ganz außergewöhnliche Form, um auf Gottes Schöpfung zu antworten. Sie ist in ihrem tiefsten Sinne nur dem Gebet zu vergleichen. So wie sich nach meiner Überzeugung im Gebet, im Gewahrwerden der Schöpfung und ihres Schöpfers und im Drängen zur Antwort, die Sprache geschaffen hat, so ist der Künstler davon getrieben, Bleibendes hervorzubringen.

Die Schöpfung ist die Offenbarung Gottes, und die Kunst ist die Offenbarung der menschlichen Seele.

Nach christlicher Vorstellung äußert Gott sich in der Schöpfung, er gibt tatsächlich etwas von sich preis. So auch der Künstler. Er überlässt sich dem göttlichen Geist und bringt Werke hervor, die mehr sein sollen als er selbst sein kann. Kunstwerke sind Wesen, die mit uns und untereinander Zwiesprache halten können.

Schauen wir uns um. Das ist die Begabung der Galeristen, dass sie die Werke so anordnen, dass sie nicht nur mit dem Betrachter, sondern auch untereinander kommunizieren können. Es entsteht in jeder Ausstellung, die ihren Namen verdient, eine neue geistige Welt, die man daran erkennt, dass die Figuren sich mitteilen können.

Eine zweite Geschichte will ich ins Gedächtnis rufen. Sie wird ganz am Anfang des Johannesevangeliums erzählt.  Nikodemus, ein Pharisäer, schleicht sich nachts zu Jesus, bekennt sich zu ihm mit den Worten: „Rabbi, wir wissen, dass du als Lehrer von Gott gekommen bist; denn niemand kann diese Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm.“

Jesus geht darauf gar nicht weiter ein sondern sagt: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.

Nikodemus spricht zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden wenn er alt ist? Kann er auch wiederum in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden? Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich ich sage dir: Es sei denn daß jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren wird, das ist Geist.“

Hat diese nächtliche Begegnung nicht ein wenig die Anmutung eines Gesprächs zwischen einem Meister irgendeiner Kunst und seinem Schüler? Der Schüler bewundert seinen Lehrer und ist dankbar. Irgendwann aber ist der Zeitpunkt erreicht, an dem der Meister nichts mehr lehren kann, an dem die eigene Kunst geboren werden muss. Sie wird aber nicht aus der handwerklichen Begabung heraus entstehen, sondern allein aus dem Geist, der uns erst eigentlich zu Menschen macht. Alle wirkliche Kunst bringt Geistwesen hervor. Was vom Geist geboren ist, das ist Geist.

Kunst ist Auflehnung gegen die Gottesferne.

Ich schaue Jastrams Figuren, den Christophorus, die Eurydike, den Jakob und die Lydia genau an. Man kann an ihnen gewahr werden, dass alle Kunst die Einübung in jene geistige Welt ist, die auch noch dann Bestand haben wird, wenn diese Welt vergeht. In den Kunstwerken behauptet der Mensch sein Menschsein.

Kunst ist Selbstbehauptung.

Ich sage gar nicht, Kunst streckt sich immer meinem Gott entgegen. Aber Kunst streckt sich immer einem Gott entgegen, sonst kann sie niemals Kunst werden, sonst bleibt sie Dekoration, Installation, Versuch oder bloßes Ornament, in jedem Falle platt – ganz in dieser Welt gefangen.

Wahre Kunst aber hat sich davon befreit und sie befreit. Fast möchte ich sagen, sie befreit sich irgendwann sogar vom Künstler, also von dem, der sie hervorgebracht hat.

Was nun im Verhältnis des Menschen zu seinem Schöpfer als Sündenfall gilt, dass ist im Verhältnis des Kunstwerks zu seinem Künstler anders geartet, weil der Künstler aus Gottes Inspiration heraus schafft, strebt das Kunstwerk nur zu seinem eigentlichen Ursprung in das Haus Gottes, wie Caroline Schlegel es genannt hat. Es wird in einem schon beinahe unchristlichen Sinne zu einer Opfergabe und der Künstler wird zum priesterlichen Mittler.

Kunst ist Vorbotin und Verheißung einer schon ganz anderen Welt.

Vielleicht ist es genau dieser Gedanke, der in vielen Religionen auch in der christlichen Tradition immer wieder den Schrecken vor der Macht der Bildwerke hat wach und zuweilen militant werden lassen. Es war Moses Bruder Aaron, der mit dem Goldenen Kalb eines der frühesten Bildwerke schuf, von denen wir wissen.

Dabei bildet ja der Künstler am Ende gar nichts ab. Kunst ist nicht Abbildung, um zu erkennen. Kunst zeigt uns, wie wir uns an Dinge und Menschen erinnern sollen. Im Begriff und im Vorgang der Erinnerung verbirgt sich schließlich eine zutiefst vergeistigte Schau auf Mensch und Welt. Unsere Erinnerung offenbart ein verstörendes Vertrauen auf jenes geistige Dasein, dem wir in viel stärkerem Maße angehören als dem leiblichen, weil die geistige Welt eine ewige Welt ist. Die Erinnerung in diesem Sinne ist bereits ganz eine geistige Welt und darin bereits Verheißung der ewigen Welt.

Für die Kunst drückt sich die Bedeutung dieses Gedankens vielleicht schon in der Tatsache aus, dass ihre strengste Richterin schlicht das Vergessen ist.

Wahre Kunst erschafft Erinnerung und bewahrt sich darin selbst …

„… bis die Welt einmal aufbrennt wie ein Papierschnitzel, so werden die Kunstwerke die letzten lebendigen Funken seyn die in das Haus Gottes gehen – dann erst komt Finsterniß.“